Die Geschichte des Bogens
Die Erfindung des Rades und die Beherrschung des Feuers sind wohlbekannte Meilensteine der Menschheitsgeschichte. Weniger bekannt ist jedoch die historische Bedeutung von Pfeil und Bogen. Von der Altsteinzeit bis zur Einführung der Feuerwaffen im 16. Jahrhundert waren Pfeil und Bogen – später auch die Armbrust – nicht nur weitverbreitete Jagdgeräte, sondern auch die wichtigsten Waffen im Kampf.
Ob Nomadenvölker Zentralasiens ein Land nach dem anderen eroberten und in China Dynastien gründeten oder ob in Europa der Belagerungsring um eine mittelalterliche Burg geschlossen wurde – der Bogen war stets unersetzlich. Er findet sich in fast allen Kulturen, mit Bauweisen, die von einfachen Ästen mit einer Sehne bis hin zu raffinierten mechanischen Konstruktionen reichen.
Grundsätzlich ist der Bogen eine zweiarmige Feder, die durch eine Sehne unter Spannung gehalten wird. Beim Zurückziehen der Sehne mit einem aufliegenden Pfeil wird der äußere Bogen (Rücken) auf Zug und der innere Bogen (Bauch) auf Druck beansprucht. Jeder Bogen muss diesen Kräften standhalten, damit er nicht bricht und den Pfeil effektiv vorantreibt. Beim vollständigen Spannen speichert der Bogen die aufgewendete Energie in seinen Wurfarmen, die beim Loslassen der Sehne als kinetische Energie auf den Pfeil übertragen wird.
Die Leistung des Bogens lässt sich prinzipiell durch längere Bogenarme steigern – jedoch nicht unbegrenzt. Der englische Langbogen, oft wegen seiner tödlichen Kraft gerühmt, war für berittene Schützen schwer zu handhaben. Daher entwickelten Bogenbauer je nach Einsatzzweck verschiedene Konstruktionsvarianten, wie die kürzeren Reiterbögen der Hunnen, deren Pfeile sogar Eisenpanzer durchschlagen konnten, obwohl sie viel kürzer waren als die Langbögen, die Rüstungen durchschlagen sollten.
Seit dem Paläolithikum (Altsteinzeit) folgte der Handbogen in Europa und Asien getrennten Entwicklungslinien, ohne dass einer Richtung der Vorzug gegeben werden könnte. Hier soll vor allem die Entwicklung im Westen betrachtet werden.
Die ersten Bögen
Die Entwicklung verschiedener Bogentypen war kein plötzliches Ereignis, sondern das Ergebnis allmählicher Veränderungsprozesse, die sich über viele Jahrtausende und ganze vorgeschichtliche Kulturen erstreckten. Früher glaubten einige Forscher, der englische Langbogen sei eine Erfindung der Angelsachsen, Normannen oder Waliser im Mittelalter. Inzwischen wurden jedoch Vorläufer dieses Bogens entdeckt, die mindestens 8000 Jahre alt sind. Es deutet einiges darauf hin, dass Pfeil und Bogen erstmals zu Beginn der Jungsteinzeit (etwa 35.000 bis 8000 Jahre vor unserer Zeitrechnung) aufgetaucht sind. Der vermutlich älteste Hinweis auf die Herkunft des Bogens sind Geschossspitzen, die man in Europa unter den Relikten von Kulturen der Altsteinzeit gefunden hat.
Eindeutige Beweise haben Archäologen im Stellmoor bei Hamburg gefunden: Dort entdeckten sie hölzerne Pfeile und Vorderschäfte aus einer spät-eiszeitlichen Kultur, die zu Beginn des neunten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung datiert. Diese zerbrochenen Schäfte sind zweifellos für das Bogenschießen hergestellt worden. Während Wurfspieße eine enge Vertiefung oder Pfanne haben, in die der Haken einer Speerschleuder passt, weisen diese Schäfte flache, rechteckige Kerben auf, die nur für eine Bogensehne geeignet sind.
Der Langbogen
Die ältesten vollständigen Bögen wurden in Skandinavien gefunden, wo sie sich in extrem wasserreichen Böden seit etwa 6000 v. Chr. erhalten haben. Diese einfachen Waffen bestehen aus einem einzigen Stück Holz, meist Eibe oder Ulme, und gehören zu den sogenannten Stabbögen.
In der Mittelsteinzeit (ca. 8000 bis 3200 v. Chr.) war die Bogenkultur in Nordeuropa bereits hoch entwickelt. Die auf der dänischen Hauptinsel Seeland gefundenen Bögen bestehen aus einzelnen Ulmenholzstäben. Von einem stabilen, handlich verengten Griff ausgehend, verjüngen sich die breiten, abgeflachten Arme zu den Enden hin. Die frühen Bogenmacher mussten die Bauchseite sehr sorgfältig ausdünnen, denn die gespannten Bögen weisen eine gleichmäßige Krümmung auf. Dadurch verteilt sich die Spannung gleichmäßig über die Bogenlänge, was die Bruchgefahr verringert und die Leistung erhöht.
Die Holmgaard-Bögen sind mit 150 bis 180 Zentimetern etwa so lang wie die mittelalterlichen Langbögen. Mit zunehmender Bogenlänge steigt die Spannlänge, was Geschwindigkeit und Reichweite des Pfeils erhöht. Im Gegensatz dazu hatten die kurzen Stabbögen, mit denen die Lakota und Komantschen ungehindert über die weiten Prärien Nordamerikas galoppierten, Spannlängen von nur 55 bis 60 Zentimetern. Dies war eine Anpassung der indianischen Waffentechnik, da die amerikanischen Pferdearten nach der Eiszeit ausgestorben waren. Der Mustang ist der verwilderte Nachkomme der im 16. und 17. Jahrhundert aus Europa eingeführten Hauspferde verschiedener Rassen.
Konstruktionsversuche
Die Entwicklung des Holmgaard-Bogens erforderte langes Experimentieren sowie Vertrautheit mit den Beschränkungen von Material und Werkzeugen. Diese Einschränkungen lassen sich besonders gut an jungsteinzeitlichen Stabbögen erkennen. Mit den gleichen Steinwerkzeugen, die den jungsteinzeitlichen Bogenmachern zur Verfügung standen, konnte man zwar einfache Bögen herstellen, aber es zeigte sich auch, wie wenig effektiv diese Werkzeuge für die Holzbearbeitung waren.
Ein Beispiel dafür ist der jungsteinzeitliche Eibenholz-Langbogen aus Meare Heath in Somerset, England, der nach Radiokohlenstoff-Datierungen um 2690 v. Chr. entstand. Dieser Bogen unterscheidet sich in Rücken und Bauch erheblich von mittelalterlichen Langbögen, die mit Metallwerkzeugen hergestellt wurden. Beide sind etwa zwei Meter lang, aber der Bogen von Meare Heath hat einen runderen, konvexen Rücken und einen flacheren Bauch. Dies deutet darauf hin, dass der Hersteller die natürliche Form des Zweigs oder Stamms nutzte, um die Bearbeitung zu minimieren. Vermutlich wählte er einen geraden Ast oder jungen Baum von geeigneter Dicke und Länge aus und spaltete ihn. Das Bearbeiten bestand hauptsächlich darin, Breite und Dicke des Rohstabs zu den Enden hin allmählich zu verringern. Der geringe Bearbeitungsgrad zeigt sich besonders am Bogenrücken, der noch nahezu die natürliche Außenrundung des ursprünglichen Stabs aufweist.
Bei einfachen Stabbögen ist dies vorteilhaft, da die Schichten unter der Rinde intakt bleiben und so die Gefahr des Brechens verringert wird. Verletzungen der Holzstruktur, etwa durch Schnitte quer zur Längsfaser, schwächen den Rücken und machen ihn anfälliger für Brüche. Oft bricht der Bogen an Stellen, wo nicht in Längsrichtung geschnitten wurde.
Unklar ist die Zusammensetzung einiger frühzeitlicher Eibenholz-Bögen. Eibenholz besteht aus dem weißen, elastischen Jungholz und dem orangeroten, druckfesten Kernholz. Laut einem Wissenschaftler der Universität Lund in Schweden enthalten jungsteinzeitliche Eibenholz-Bögen aus Schweizer Fundstätten, die auf das vierte bis dritte Jahrtausend v. Chr. datiert werden, im Rücken kein Jungholz. Auch der Bogen von Meare Heath enthält kein Jungholz.
Nach heutigen Erfahrungen ist es unwahrscheinlich, dass diese Bögen nur aus Kernholz gefertigt wurden, da dieses zu spröde ist und der hohen Zugbelastung nicht standhält. Vielleicht wurden die Bögen aus frischem, elastischerem Holz gefertigt, doch wäre ihre Leistung dann sehr bescheiden gewesen.
Mit dem Aufkommen von Metallwerkzeugen im zweiten Jahrtausend v. Chr. wurden neue Varianten des Stabbogens möglich. Besonders deutlich wird dies an den mittelalterlichen Langbögen. Die englischen Bogenmacher verwendeten Rohstäbe von größeren und älteren Bäumen, wodurch flachere Rücken möglich wurden. Bögen aus der Mary Rose, einem Kriegsschiff Heinrichs VIII., zeigen einen rundlichen Querschnitt mit leicht abgeflachtem Rücken aus Jungholz.
Im 19. Jahrhundert konzentrierten sich die Änderungen mehr auf die Dicke des Rohstabs als auf seine Breite. Dies führte zu einem ausgeprägten Hochkant-Querschnitt, der für schnellere und weitere Schüsse bei geringerem Spanngewicht sorgte. Allerdings machte die ungleichmäßige Kräfteverteilung entlang der schmalen Mittellinie diese Bögen bruchanfällig.
Diese Variationen bedeuten nicht unbedingt eine fortwährende Höherentwicklung. In den 1930er und 1940er Jahren entwickelten Clarence Hickman, Forrest Nagler und Paul Klopsteg ideale Bogenkonstruktionen, die eher den breitarmigen flachen Bögen der europäischen Mittel- und Jungsteinzeit entsprechen als den später in England üblichen.
Außerhalb Europas nahm der Bogenbau eine andere Entwicklung. Der einfache Stabbogen entstand in vielen Kulturen neu, aber die kompliziertesten Varianten kamen in Asien auf. Asiatische Bogenmacher konzentrierten sich auf die Materialien und verstärkten die Rücken ihrer Bögen mit Tiersehnen, die mit Leimen aus Häuten und Schwimmblasen befestigt wurden.